Dies Domini – Zweiter Sonntag nach Weihnachten, Lesejahr A
Dass Weihnachten nicht der Mittelpunkt des Neuen Testamentes ist, lässt sich allein schon an der vergleichsweise mageren Textausbeute ablesen. Während Paulus im Galaterbrief immerhin anmerkt, dass Jesus von einer Frau geboren wurde (Galaterbrief 4,4), kennt das älteste Evangelium, das Markusevangelium, überhaupt keine Weihnachtsgeschichte; es beginnt mit dem Auftreten Johannes des Täufers.
Der Mittelpunkt der neutestamentlichen Botschaft ist die Verkündigung desjenigen, der am Kreuz starb und von den Toten auferstand. Der Kreuzestod galt als unmittelbarer Ausweis der Gottverlassenheit. Keiner, der auch nur annähernd in der Gunst Gottes stand, konnte von Gott der Grausamkeit dieses Todes überlassen werden. Wenn also jemand am Kreuz starb, war in sich zweifelsfrei klar, dass ein solcher von Gott verlassen sein musste. Dass Jesus aber trotzdem von den Toten auferstand, pervertierte diese scheinbar selbstverständliche Sichtweise: Die Auferweckung vom Tode kommt einem Schöpfungsakt gleich, den nur Gott bewirken kann. Der Gottverlassene wird durch einen göttlichen Akt auferweckt. Da stellt sich doch die Frage, ob Gott nicht überhaupt in diesem Jesus wirksam war. Was ist um diesen Mann aus Nazareth?
Der Glaube erblickt in ihm den Sohn Gottes. Die Texte des Neuen Testamentes sind die gläubigen Versuche, das Unaussprechliche in menschliche Worte zu bringen: Jesus Christus, der am Kreuz starb und von den Toten auferstand, ist der Sohn Gottes. Es ist eine theologische Aufgabe, die es zu bewältigen gilt. Auch für die neutestamentlichen Autoren sind die Heiligen Schriften eine Quelle der theologischen Reflexion. Für sie waren es die Texte der Septuaginta – jener griechischen Übersetzung dessen, was wir heute als Altes Testament kennen: Die heiligen Schriften der Juden. Das Neue Testament ist durchsetzt mit Zitaten aus diesen Texten, mit denen die Autoren von Paulus bis Lukas, von Markus bis Johannes und von Jakobus bis Petrus das wahre Wesen Jesu zu ergründen versuchen.
Die menschliche Neugier treibt so auch zu der Frage, wie denn Gott in Jesus wirkt. Lange vor den christologischen Reflexionen der ersten Konzilien kommt so auch die Frage auf, wie denn der Sohn Gottes zur Welt kommt. Matthäus und Lukas reflektieren diese Frage anhand der messianischen Verheißungen des Alten Testamentes. Aufgrund dieser Verheißungen rekonstruieren sie die Vorgänge über die Geburt Jesu. Sie erfinden also keine Geschichten. Vielmehr übernehmen sie die prophetisch-symbolische Sprechweise. In symbolischen Erzählungen lässt sich besser fassen, wie Gott Mensch wird, als im Berichtstil. Deshalb ist es nicht nur nicht notwendig, sondern prinzipiell unmöglich, die nicht geringen Differenzen zwischen Matthäus und Lukas zwanghaft harmonisieren zu wollen.
Johannes, der vierte Evangelist, geht noch einen Schritt weiter. Er hat dem, was Lukas und Matthäus über die Umstände der Geburt Jesu schreiben, erzählerisch nichts hinzuzufügen. Und doch liegt ihm die Frage nach der Herkunft Jesu am Herzen. Am Beginn seines Evangeliums steht deshalb ein Prolog – ein Hymnus auf die Fleischwerdung des göttlichen Wortes. Es ist dieses Wort, der Logos, mit dem Gott seine Schöpfungsmacht ausübt. Es ist das Wort, das wirkt. Das Wort kann deshalb nicht abstrakt bleiben. Ein Wort, das wirkt und durch das wird, schafft Wirklichkeit. Die Fleischwerdung, also die Schöpfung von Wirklichkeit, ist daher im Wort selbst angelegt. So heißt es im Evangelium vom zweiten Sonntag nach Weihnachten im Lesejahr C:
Alles ist durch das Wort geworden, und ohne das Wort wurde nichts, was geworden ist. (Johannes 1,3)
Für alles, was selbst durch die Schöpfungsmacht des Wortes in das Dasein gekommen sind – und das ist immerhin die Schöpfung in ihrer Gesamtheit -, ist das Dasein selbstverständlich. Es kennt den wortlosen Zustand nicht. Das Dasein ist selbstverständlich geworden. Das gilt selbst für die Fleischwerdung des Wortes an sich, die in der inneren Logik des Schöpfungsdranges des göttlichen Wortes liegt:
Er war in der Welt, und die Welt ist durch ihn geworden, aber die Welt erkannte ihn nicht. (Johannes 1,10)
Was alltäglich ist, ist selbstverständlich. Es ist wie mit der großen Liebe. Die Schmetterlinge des Verliebtseins fliegen meist auch nur einen Sommer. Im grauen Alltag der Partnerschaft droht die Besonderheit des oder der Anderen verloren zu gehen, wenn, ja wenn man ihn oder sie nicht immer wieder neu entdeckt.
Dieses Schicksal droht auch dem schöpfungsmächtigen Wort Gottes. Wer aber das Leben als tägliche Entdeckungsreise begreift, schärft den Blick für den Grund des Daseins. Ein solcher Mensch ist aufnahmebereit für das Neue im Alten:
Allen aber, die ihn aufnahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden, allen, die an seinen Namen glauben, die nicht aus dem Blut, nicht aus dem Willen des Fleisches, nicht aus dem Willen des Mannes, sondern aus Gott geboren sind. (Johannes 1,12f)
Es braucht keine besonderen Anstrengungen dafür. Es geht eher darum, der Welt mit kindlichem Staunen zu begegnen. Auch hier ist es wie mit der Liebe. Auch wenn alle Forscher dieser Welt die physischen, psychischen und biochemischen Veränderungen bei Verliebten entschlüsselt haben werden, die Liebe selbst werden sie damit noch nicht verstanden haben. Die Liebe entzieht sich diesem Zugriff. Sie kann noch nicht einmal metaphysisch-philosophisch entschlüsselt werden, wie der lesenswerte Beitrag „Wahre Liebe“ des Philosophen Tobias Hürter zeigt. Wer die Liebe kennen und erkennen möchte, muss sich auf sie einlassen: Er muss lieben!
Wer liebt, wird keine wirklichen Worte für das finden, was er erlebt und erfährt. Genauso wenig, wie es Worte für das Eigentliche der Menschwerdung Gottes gibt. Worte bringen das Unaussprechliche immer nur ungenügend zum Ausdruck. Wer die Wahrheit der heiligen Schriften erkennen möchte, muss sich deshalb auf sie einlassen. Nicht blind und ohne Verstand, aber mit Vertrauen und dem Streben nach Erkenntnis.
Auch hier ist es wie mit der Liebe. Man kann nicht eben mal kurz lieben. Liebe gibt es ganz oder gar nicht. So ist es auch mit der Erkenntnis: Ein bisschen Erkenntnis gibt es ebenso wenig, wie eine Wahrheit to go. Um zu verstehen, was der Evangelist, den wir Johannes nennen, am Schluss seines Prologs feststellt, muss man den Text immer wieder bedenken, das fleischgewordene Wort durchkauen, nachsinnen bei Tag – und vielleicht auch bei Nacht, sich immer wieder vor Augen führen, auf der Stirn, in den Gedanken und im Herzen tragen, aber auch durch die Tat der Hand bewirken, weil nur der die Liebe verstehen wird, der sie tut:
Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt, und wir haben seine Herrlichkeit gesehen, die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater, voll Gnade und Wahrheit. (Johannes 1,14)
Das Neue Testament kennt nur wenige weihnachtliche Texte. Gott sei Dank! Denn es braucht seine Zeit, zu verstehen, was dort geschehen ist. Es ist gut, am zweiten Sonntag nach Weihnachten im Lesejahr A einen Text neu zu hören, der erst vor wenigen Tag in der Eucharistiefeier vom Weihnachtstag zuhören war. So gelingt es mit Sicherheit wieder ein Stück mehr, das Wort aufzunehmen und es Wurzeln fassen zu lassen.
Dr. Werner Kleine
Author: Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.
Du kannst einen Kommentar schreiben.